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Einsatzsimulator für Führungskräfte des Bevölkerungsschutzes

Wir entwickeln eine niedrigschwellige Übungsmöglichkeit für den Bevölkerungsschutz.

Mit unserem neuen Einsatzsimulator können Führungskräfte des Bevölkerungsschutzes nun realitätsnah unter Pandemiebedingungen den Einsatzfall trainieren.

Niedrigschwellige Übungsmöglichkeit für den Bevölkerungsschutz

Wenn es um Leben und Tod geht, schlägt die Stunde des Bevölkerungsschutzes. Genau dann, wenn die Not am größten ist, sind Feuerwehren, Technisches Hilfswerk und Hilfsorganisationen wie das Deutsche Rote Kreuz gefragt, schnell und kompetent Hilfe zu leisten. Die Hochwasser-Katastrophe im Ahrtal hat uns wieder einmal vor Augen geführt, dass solche Notsituationen auch vor der eigenen Haustür stattfinden können.

Neben vielen engagieren Mitbürger*innen ist dann vor allem gut ausgebildetes Fachpersonal gefordert, um kurz- und mittelfristig Hilfe zu leisten. Damit diese Helfenden effektiv arbeiten können, ist eine hierarchische Führungsstruktur, unabhängig von der Größe des Einsatzes, unerlässlich. Diese Struktur von Führungskräften erlaubt es, komplexe Lagen effizient abzuarbeiten und Chaos an der Einsatzstelle zu verhindern. Sie erlaubt es, sich auf den jeweiligen Kernauftrag zu konzentrieren und das breite Aufgabenspektrum zu priorisieren, um zum Beispiel möglichst viele Personen vor langfristigen Schäden zu schützen. Ohne funktionierende Führungsstruktur gibt es keinen erfolgreichen Einsatz. Das zentrale Element dieser Struktur sind die Führungskräfte, die sich auf den unterschiedlichen Ebenen um Informationsbeschaffung, Kommunikation und Auftragserteilung kümmern. Genau wie alle anderen Fähigkeiten des Bevölkerungsschutzes muss auch dies regelmäßig trainiert werden. Da Einsätze aber vor allem für die hauptsächlich ehrenamtlichen Helfer*innen selten und gezielte Führungsübungen schwierig, zeitaufwendig und wenig realistisch sind, kann es zu folgenschwerer Überforderung und dadurch Fehleinschätzungen kommen.

Genau aus diesem Grund haben wir eine Webanwendung entwickelt, in der Übungsszenarien erstellt und durchgespielt werden können. Damit existiert nun eine realitätsnahe und auch in Pandemiezeiten durchführbare Übungsmöglichkeit für Führungskräfte im Bevölkerungsschutz. Wir hoffen, dass mit diesem Simulations-Tool die entsprechende Kräfte nicht nur an Selbstsicherheit und Krisen-Know-how gewinnen, sondern auch der Einsatzerfolg gesteigert werden kann. Denn ein erfolgreich abgearbeitetes Einsatzgeschehen wirkt sich nicht nur positiv auf die Motivation und das Empfinden der beteiligten Helfer*innen aus, sondern hilft in allererster Linie den Betroffenen.

Figure 1: Der Einsatzsimulator zeigt in der Mitte eine Übersicht über alle Helfer*innen und Patient*innen an einem Ort. Namen und Nummern sind möglichst klein gehalten, damit die*der Übende sich mehr auf eine Person konzentrieren muss und somit eine realitätsnahe Übungsmöglichkeit vorliegt. Auf der rechten Seite werden temporäre Informationen angezeigt. Der Fortschrittsbalken zeigt an, wie lange die Nachricht noch zu lesen ist und erzeugt somit Stress bei den Teilnehmenden. Unten rechts findet sich die Karte der aktuellen Person mit einem kleinen Umkreis, um auch nicht zu viele Informationen anzuzeigen. Auf der linken Seite finden sich Icons, die das Wetter anzeigen und den Zugriff auf das Funkmodul beinhalten. Die Eingabeleiste in der Mitte unten ist die Hauptkommunikationsmöglichkeit in der Simulation. Hierüber können Patient*innen versorgt und Befehle an Helfer*innen erteilt werden.

Übungsmöglichkeiten für Führungskräfte

Bei Einsätzen geht es um wiederholte Informationsbeschaffung, Planung und Ausführung. Dies gilt sowohl für die Helfer*innen direkt an der Schadenslage als auch für Einsatzleiter*innen, die die Gesamtverantwortung tragen. Je höher ein*e Helfer*in in der Führungshierarchie eingesetzt wird, desto mehr Informationen muss sie*er verarbeiten, um die richtigen Entscheidungen für einen erfolgreichen Einsatz treffen zu können. Damit diese Rolle trainiert werden kann, benötigt diese*r Helfer*in entsprechend viele Informationen, die sich im Zeitverlauf möglichst realitätsnah entwickeln. Genau hier stoßen klassische Fallbeispiele, bei denen in Kleingruppen Situationen geübt werden, an ihre Grenzen. Planspiele bei denen Helfer*innen theoretisch ihre Rolle abarbeiten und auf einer Karte Personen und Einheiten platzieren, benötigen nicht nur viel Vorbereitungszeit, sondern geben die Vielzahl von eingehenden Informationen bei einem Realeinsatz nur unzureichend wieder. Realitätsgetreuer sind hingegen Großübungen, bei denen eine Vielzahl von Organisationen ihre Zusammenarbeit trainieren. Da solch eine Übung nicht nur viel Vorbereitungszeit, ein entsprechendes Übungsobjekt, Notfalldarsteller*innen und schlussendlich auch Geld kostet, findet diese wichtige Trainingsmöglichkeit nur selten statt. Übungen haben ebenfalls den Nachteil, dass jede Position nur von einer Person beübt werden kann und bei Fehlern eine Wiederholung nicht möglich ist. Zudem sind aufgrund des Infektionsrisikos unter Pandemiebedingungen solche Übungen, bei denen eine Vielzahl von Helfer*innen zusammenkommen, nicht oder nur schwer vorstellbar.

Genau hier wollten wir ansetzen und Führungskräften eine remote durchführbare Übungsmöglichkeit bieten, welche die Kernelemente ihrer Aufgabenstellung simuliert. Das Lernziel ist hierbei, die richtigen Entscheidungen auf Grundlage der zur Verfügung stehenden Informationen zu treffen und diese fortlaufend zu evaluieren. Die Herausforderung für unsere Anwendung war es, Bedingungen zu schaffen, die möglichst realitätsnah sind und dadurch zu entsprechendem Stress führen, damit die*der Helfer*in eine effektive Übungsmöglichkeit hat. Dies bedeutet zum Beispiel, dass wir nicht eine Auswahl von möglichen Aktionen anbieten können, da dies im Realfall auch nicht gegeben ist. Auch muss unterschieden werden zwischen persistenten Informationen, die der*die Helfer*in vor Ort fortlaufend zur Verfügung hat - wie beispielsweise das Wetter - und temporären Informationen, welche die Führungskraft nur einmalig erhält - wie Straßennamen, die für den Einsatz bedeutsam sind.

All diese Anforderungen galt es in einem, für die meisten Helfer*innen ungewohnten, neuen Übungskonzept festzuhalten und daraus eine flexible Architektur zu entwickeln.

Figure 2: Vor jeder Ausführung, egal ob z. B. Versorgung von Patient*innen oder Befehlsgabe, müssen immer Informationen gesammelt werden, bevor diese zu einem Plan zusammengefasst werden können.

Architektur

Um unser Konzept von temporären und persistenten Informationen sowie die Kommunikation mit virtuellen Helfer*innen und Einrichtungen zu testen, haben wir in einem ersten Schritt eine erweiterte Variante eines Planspiels entwickelt. Bei unserer Variante durften sich die Führungskräfte nur über eine Funksimulation abstimmen und mussten ihre Aktionen aufschreiben, anstatt sie nur, wie herkömmlich, mit der Gruppe zu teilen. Unsere Spielleiter*innen haben daraufhin die Aktionen ausgewertet und entsprechend in das Planspiel einfließen lassen. Persistente Informationen wurden den Übungsteilnehmer*innen über Spielkarten zur Verfügung gestellt und temporäre durch direkte Ansprache der Helfer*innen. Es hat sich gezeigt, dass durch dieses Konzept die Helfer*innen tatsächlich in Stresssituationen gekommen sind und sich sowohl die Informationsbeschaffung als auch die Entscheidungsfindung und Kommunikation trainieren lassen können. Deutlich wurde aber auch, dass es eine gute Einführung in das Konzept sowie eine klare Kommunikation der Lernziele und damit verbundenen Begrenzung der Übungsmöglichkeiten benötigt. Denn eine solche Übungsumgebung kann, ähnlich wie eine praktische Übung, nicht alle Möglichkeiten abbilden, die in der Praxis zur Verfügung stehen. So können nur eine begrenzte Anzahl von Helfer*innen und Material angefordert werden und nicht beliebige Aktionen ausgeführt werden. Aus diesem Grund steht die Vermittlung des Lernziels bei unserer Anwendung im Mittelpunkt.

Der Ablauf unserer Übung besteht daher aus drei Teilen: Einführung, Simulation und Nachbesprechung.

Bei der Einführung werden nicht nur die Rollen innerhalb der Übung festgelegt und das Übungsszenario kommuniziert, sondern den Helfenden auch das Übungsziel vor Augen geführt. In der Simulation wird ein vorher definierter ereignisbasierter Spielablauf genutzt, der von den Helfenden beeinflusst werden kann. Je nach Aktionen der Führungskräfte kann sich der Einsatz unterschiedlich entwickeln. Neben diesem zentralen Spielablauf ist die Interpretation der von den Spieler*innen ausgewählten Ereignisse von zentraler Bedeutung. Da wir keine Aktionen zur Auswahl anbieten können, muss unsere Anwendung Freitext interpretieren und in entsprechende Aktionen umwandeln können. Da alle Teilnehmer*innen einer Übung nur einen kleinen Teil der Gesamtsituation überblicken können, ist die Nachbesprechung, wie bei herkömmlichen Übungen und Einsätzen, entscheidend, um das eigene Verhalten reflektieren und einschätzen zu können. Im Vergleich zu anderen Übungsmöglichkeiten, können wir ein exaktes Protokoll der Ereignisse liefern und somit auch Vergleiche zwischen unterschiedlichen Durchläufen ermöglichen. Wie wir die Anwendung im Detail konzipiert haben, erläutern wir im nächsten Abschnitt.

Figure 3: Die Papiervariante des Simulators ermöglichte es uns, das neue Konzept der Kommunikation über Nachrichten zu testen. Über diese konnten die Übungsteilnehmer*innen Aktionen ausführen und erhielten Nachrichten.

Figure 4: Der Ablauf der Übung wird im Vorfeld definiert und durch eine zentrale Komponente in Abhängigkeit der umgesetzten Aktionen ausgeführt. Damit alle Teilnehmenden die gleichen Informationen zur Verfügung haben, werden die Resultate über eine Echtzeitverbindung zwischen allen Geräten synchronisiert. Der Webserver wird nur benötigt um die Seite und statische Inhalte, wie z.B. Bilder, auszuliefern. Die Übungsteilnehmer*innen müssen während der Übung direkt miteinander kommunizieren, ähnlich einer Funkverbindung im Realeinsatz.

Implementierung

Das Einsatzspektrum des Bevölkerungsschutzes ist sehr groß und vielfältig. Daher haben wir uns von Anfang an auf einen Teilbereich konzentriert und unsere Simulation um einen fiktiven sanitätsdienstlichen Einsatz aufgebaut. Dies erlaubte uns, die komplexen Möglichkeiten auf einen umsetzbaren Umfang zu reduzieren, um die Struktur sowie das Bedienkonzept zu testen. Die Erweiterbarkeit auf andere Einsatzgebiete und Möglichkeiten war von zentraler Bedeutung und somit konnten wir nun einen Prototypen fertigstellen, der sich als Ausgangspunkt für eine breite Einsatzvielfalt nutzen lässt.

Als technische Basis für unsere Anwendung dient das Framework Nextjs, da es eine schnelle Entwicklung mit der Frontend Bibliothek React ermöglicht. Für die Echtzeitkommunikation zwischen allen Teilnehmenden der Übung wurde der integrierte Nextjs Server um eine Websocket Komponente erweitert. Diese Schnittstelle kontrolliert unseren selbst entwickelten Spielablauf inklusive virtueller Helfender. Für die Interpretation von Befehlen und Aktionen der Übungsteilnehmer*innen entschieden wir uns für den Einsatz des Programms Rasa, da es angepasste Machine-Learning-Algorithmen für Sprachverständnis (NLU) einfach zugänglich macht. Dies ermöglicht es unserer Anwendung, den individuellen Sprachgebrauch der Einsatzkräfte zu verarbeiten und entsprechend zu reagieren. Als Ergebnis müssen sich die Teilnehmenden nicht in ihrer Ausdrucksweise anpassen und die Übung wird noch vergleichbarer mit der Realität.

Figure 5: Im ersten Schritt muss die*der Helfer*in sich mit Namen anmelden und eine Rolle in der Übung auswählen.

Figure 6: Bevor die Übung beginnt erhält die*der Teilnehmende wichtige Hintergrundinformationen zur Übung. Diese sind vom Übungserstellenden selbst zu verfassen und können nach Belieben angepasst werden.

Figure 7: Die Darstellung der Anhängekarte ist dem Original nachempfunden und zeigt die wichtigsten Informationen, die zur Priorisierung einer*s Verletzten benötigt werden.

Figure 8: Auch in der Detailansicht von Patient*innen werden nur die Informationen angezeigt die auf einen Blick in der Realität ersichtlich wären. Alle weiteren müssen über die Eingabe abgefragt werden.

Nächste Schritte

Unsere Anwendung erlaubt es aktuell, Einsätze mit einem begrenzten Funktionsumfang abzubilden. Diesen möchten wir gerne im nächsten Schritt erweitern, um schlussendlich auch Führungskräften außerhalb des sanitätsdienstlichen Einsatzbereichs eine niederschwellige Übungsmöglichkeit bieten zu können. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung wird ein Einsatzdesigner*in sein, um Übungsszenarien über die Weboberfläche vorbereiten und teilen zu können. Unsere Vision ist eine Plattform, mit deren Hilfe man eigene und fremde Einsätze üben und die Ergebnisse vergleichen kann, um von Fehlern und Vorgehen anderer Einheiten in ganz Deutschland lernen zu können.

Des Weiteren fehlt in unserem Prototyp noch eine Funksimulation zwischen allen Führungskräften, um nicht von Diensten Dritter abhängig zu sein. Für weitere Variation in den Übungen wären auch unterschiedliche Schwierigkeitsgrade, die beispielsweise die Kommunikation einschränken, wünschenswert, um auch erfahrene Führungskräfte an ihre Grenzen zu bringen.

Veröffentlichungen

Weitere Informationen zu diesem Projekt sind unter https://einsatzsimulator.de zu finden. Den unter AGPL stehenden Code findet man im öffentlichen Git Repository https://github.com/sualko/einsatzsimulator und eine Demo-Anwendung findet sich unter https://demo.einsatzsimulator.de.

Fazit

In der Projektlaufzeit konnte ein funktionierender Prototyp entwickelt werden, der das Training von sanitätsdienstlichen Einsätzen für Führungskräfte ermöglicht. Die resultierende Plattform ist erweiterbar und kann sich an die Bedürfnisse verschiedener am Bevölkerungsschutz beteiligten Personen anpassen. Wir freuen uns, dass wir eine aus unserer Sicht niederschwellige Übungsmöglichkeit geschaffen haben und schauen mit Zuversicht auf die weitere Entwicklung unserer Plattform.

Wir danken dem Bundesministerium für Bildung und Forschung für die Finanzierung des Projekts und dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt für die Unterstützung in der Förderzeit.